Die Zentralschweizer Literaturtage in der Presse

12. März bis 14. März 2010 in der Stadtmühle Willisau

«Alles, was gut geschrieben ist, ist Literatur»

Wie keiner versteht es Peter von Matt, über Literatur und Sprache zu reden. Andreas Iten gab ihm in Willisau dazu die richtigen Stichworte.

«Wie war es bei den Kapuzinern in Stans?», wollte Andreas Iten gestern Vormittag im mit etwa hundert Leuten voll besetzten Saal der Willisauer Stadtmühle wissen. «Die Kapuziner», hielt Peter von Matt (72), prominenter Gast der 5. Zentralschweizer Literaturtage, fest, «das sind die minderen Brüder. Da geht es bescheidener zu als bei den Benediktinern in Einsiedeln, wo Thomas Hürlimann die Klosterschule besuchte.» Im Übrigen sei es wohl in jeder Schule so, dass es die guten und die schlechten Lehrer gebe. Er habe im Fach Deutsch Glück gehabt und entdecken können, was Literatur sei, «als wir uns in der dritten Klasse des damals noch achtjährigen Gymnasiums ein ganzes Jahr lang mit Schillers ‹Wilhelm Tell› beschäftigten».
Andreas Iten stellt als Präsident des Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellervereins natürlich die Frage nach der Ausstrahlung der Literatur aus der Zentralschweiz. «Es gibt immer und überall die lokale, die regionale, die nationale und die internationale Literatur. Es braucht gar nicht jede Literatur überall gelesen zu werden», meint Peter von Matt: «Es braucht die Biodiversität. Es gibt ja nicht nur die Federers und die Jankas. Es braucht das breite Feld, aus dem dann hier dort eine Pappel aufschiessen kann.»

Kunstvoll jammern

Vom Klagen und von der eidgenössischen Nationaltugend des Jammerns ist danach die Rede. Das Loben und Tadeln, Benennen und Klagen, schreibt Peter von Matt in einem seiner Bücher, sei das Geschäft des Schriftstellers. «Jammern kann jeder», sagt er, «doch sollen wir nicht vergessen, dass es auch künstlerisch sein muss. Literatur ist Kunst. Aber auch ein Leserbrief oder ein Inserat kann Literatur sein: Alles, was gut geschrieben ist, ist Literatur.» Es ist ein höchst vergnüglicher Vormittag. Peter von Matt schöpft aus der Fülle und scheut sich nicht vor provokanten Pointen – die sich beim Nachdenken dann doch als mehr als nur Pointen erweisen.

Anschauliches Geheimnis

Literatur und Sprache sind für Peter von Matt nicht nur Stoff, sie sind seine Elemente. Sei es Gotthelf, der nach Luthern wandert und erzählt, wie es in der Messe bei den Jesuiten war, sei es «Anna Karenina», «Madame Bovary» oder ein Gedicht von Robert Walser: Er sucht nicht nach dem, «was uns der Dichter sagen will» – weil der das gar nicht weiss: «Die Hand weiss mehr als der Kopf; Literatur ist eine Form von anschaulichem Geheimnis.» Diesem Geheimnis ist Peter von Matt auf der Spur, nicht den Absichten des Autors. Ihm dabei über die Schulter zu schauen, ist die reine Lust.
Urs Bugmann
© Zentralschweiz am Sonntag, 14. März 2010
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