Rückblick: Höhenflug, Schreiben im Alpenraum
Zwischenspiel mit Paarläufen – Literaturfestival in Zug, 23. November 2019
Das Prinzip war einfach: drei Lesende luden je einen Gast ein, mit denen sie – immer zu zweit – die Bühne teilten, um sich gegenseitig vorzustellen, zu befragen, einander ins Gespräch zu verwickeln über das Schreiben, über gelesene oder zu lesende Texte. Ein viertes Duo bestritt den Abend, eines, das auch im wirklichen Leben ein Paar bildet, ein verheiratetes, mit einmonatiger Tochter, die sich ab und zu akustisch bemerkbar machte. Das taten, wohltönend, auch die Duos, Trios und ein Chor der Musikschule Unterägeri, welche die kurzen Pausen zwischen den wortreichen Begegnungen mit abwechslungsreichen Instrumentalen und gesungenen Beiträgen auflockerten und für den Barpiano-Hintergrund sorgten.
Als Zwischenspiel zum jeweils alle drei Jahre anberaumten Höhenflug-Festival war dieser Samstag im Burgbachkeller Zug gedacht, in der Folge zur Ausgabe 2018. Das OK hatte Lust dazu, und etwas Geld war auch übriggeblieben.
Elisabeth Wandeler-Deck hatte Lisa Elsässer eingeladen, von der sie sich die Form des Prosagedichts erläutern liess, ausgehend vom Erzählband Erstaugust. Auf die Frage nach einem Zugang zu den für sie hermetischen Staccato-Ellipsen mit labiler Subjektzuordnung der Gastgeberin, deren aktuelleTexte von einem Kairo-Aufenthalt ausgingen, riet ihr diese, das Geschriebene laut zu lesen und so den clash zweier Wörter als unfertige Setzung zu erfahren. Ging es hier mitunter um Konzeptkunst, so gruppierte Elsässer ihre Ausschnitte ums Thema der Begegnung und schloss mit einigen Gedichten.
Die Lyrikerin Katharina Lanfranconi charakterisierte Romano Cuonz als präzisen Journalisten, dessen Geschichten ohne Clou auskämen. Sie liess einige ihrer attraktiven Petitessen funkeln, die sie treffend betitelte, etwa mit «Wir schenken uns nichts». Der Gast bewies, dass seinen Erzhlungen wahre Begegnungen zugrunde liegen, so in den Bekenntnissen des Palace-Hoteliers in Bern über die jordanische Königin oder an die erste Begegnung mit seiner späteren Ehefrau in der Badi.
Christoph Schwyzer hatte Andreas Grosz ausgewählt, weil es ihm dessen «Füchslein»-Notizen aus der Zeit im Schächental angetan hatten. Er sah darin einen «Vermehrer durch Reduzieren» am Werk, einen Landpfleger, der die Kultur zu ihrem Ursprung zurückführe, der Arbeit des «Schönens», wie das die beschriebenen Bauern nennen. Die Welt der Talhöhen nahm sogleich Gestalt an, als Grosz einige seiner nachhaltig wirkenden Notatpartikel vortrug. Bisweilen skurril und eigenbrötlerisch geht es auch in Schwyzers Altersheim-Porträts zu, einem Reigen der Soloauftritte mit Vergangenheit. Die beiden entdeckten übrigens, dass sie im selben Spital zur Welt gekommen waren und dass sie ganze Lebensabschnitte mit Baar verbunden hatten.
Vor einem etwas geschwundenen Publikum – die Pause bis 20 Uhr war wohl etwas lange geraten – stellte Theres Roth-Hunkeler das Autorenpaar Julia Weber und Heinz Helle vor, die sich am Literaturinstitut in Biel kennengelernt hatten und seither zusammen leben und sich gegenseitig lesen. Sie hatten eine Art Collage aus korrespondierenden Textstellen ihrer zwei neusten Romane vorbereitet, die jeweils von Themen, Orten oder Situationen ausgingen. Geht es bei Helle um des Erzählers Bruder, der in einem prekären Tiefflug aus dem Raster der Normalität absackt und seinem Ende entgegentaumelt, so schildert Weber, genauso eindringlich, das Verhältnis einer psychisch unstabilen Mutter zu ihren Kindern und deren erzwungene Frühreife, wobei die Optik zwischen den Generationen pendelt. Beide Bücher sin beklemmend in ihrer schonungslos wahren Erkundung des Familiären.
Beklemmend, skurril, amüsant, geistreich, nüchtern wiedergegeben – die Texte, Gedichte, Diskussionen und Porträts, Biografien und Kritiken dieses intensiven Literaturtages haben uns zwar gefordert, aber auch trainiert und fit gemacht für die Auseinandersetzung mit der ge- und beschriebenen Aktualität des Schreibens im Hier und Jetzt.
Adrian Hürlimann