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Schweizerdeutsche Texte korrigieren – wie geht das überhaupt?

Mundart-Lektorin Daniela Zimmermann berichtet über ihre Mitarbeit an der Edition IS*V #1, dem Mundart-Falzflyer mit Beiträgen von ISSV-Mitgliedern aus allen Zentralschweizer Kantonen.

Von Daniela Zimmermann

Schweizerdeutsche Texte korrigieren – wie geht das überhaupt? Eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass es für die schweizerdeutschen Mundarten keine amtlich gültigen Rechtschreiberegeln gibt. Wer Texte in Mundart verfasst, betritt also – zumindest orthographisch gesehen – einen normfreien Raum. Wie schreibt man Wörter in einer Sprache, für die es keine Rechtschreiberegeln gibt und wie korrigiert man sie?

Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Einige Autor:innen orientieren sich an Dialektlexika oder am schweizerischen Idiotikon. Dialektwörterbücher halten vor allem

Wörter fest, die vom Standarddeutschen abweichen. Dafür nutzen sie meist eine an die Dieth-Schrift angelehnte Verschriftung, die mittels zusätzlicher Sonderzeichen wie zum Beispiel [è] oder [ì] auch lautlich ganz feine Unterschiede sichtbar macht und sich nicht an den Rechtschreiberegeln des deutschen Standards orientiert. Für Lexika ist das absolut sinnvoll, da man so eben nicht nur die Wortbedeutung, sondern auch die Lautung ganz genau festhalten und für Forschungszwecke im Bereich der Dialektologie verfügbar machen kann. Nachteil dieser Verschriftungsstrategie sind die teilweise sehr ungewohnten Schriftbilder, welche die Lesbarkeit beeinträchtigen. Folgt man beispielsweise den Empfehlungen des Zürichdeutschen Wörterbuchs (1983), das für meinen Dialekt konsultiert werden kann, würde aus Schlaf <Schlaaff>, Nähkorb <Nèèchöörbli>, heiliges Donnerwetter <häiligs Tunerwätter>.

Andererseits gibt es gerade in Dialekten mit einer langen Tradition der Mundartliteratur Schreibweisen, die sich gewissermassen durchgesetzt haben. Diese sind lautlich häufig aber unnötig übergenau. Ein Beispiel dafür wäre die Konsonantenverdoppelung am Wortanfang bei den Partizip-Perfekt-Formen, um die stärkere Aussprache abzubilden: [<ddänkt> für gedacht, <ggange> für gegangen oder <bbout> oder für gebaut. Da wir von der standarddeutschen Orthografie aber keine Doppelkonsonanten im Anlaut kennen, sind auch das sehr ungewohnte Schriftbilder – zumindest für die ungeübte Dialektleserschaft.

Mein oberstes Credo ist – sofern nicht anders abgemacht – immer die Lesbarkeit. Ich empfehle in der Regel, so standardnah wie möglich und so lautnah wie nötig zu verschriften – ungeachtet der Schreibweisen, welche in Dialektwörterbüchern oder in der traditionellen Mundartliteratur auftauchen. Mein Fachgebiet ist nicht die Dialektologie, sondern die Graphematik, jener Teilbereich der Linguistik, der das Verhältnis von geschriebenen zu lautlichen Formen erfasst. Hier sind drei Prinzipien relevant: Das phonologische Prinzip, welches besagt, dass ein gleicher Laut immer gleich geschrieben werden soll, das morphologische Prinzip, nach welchem ein Morphem (beispielsweise Wortstamm, Vorsilben, Endungen) in unterschiedlichen Wortkombinationen immer gleich geschrieben werden soll, und das von mir eingeführte Wiedererkennungsprinzip, welches zum Ziel hat, dass ein Mundartwort möglichst nah an der standarddeutschen Schreibung ist, sodass man es aufgrund des gewohnten Schriftbildes schnell wiedererkennt. Da sich diese drei Prinzipien häufig gegenseitig ausschliessen, ist es meine Aufgabe abzuwägen, in welchem Fall welches Prinzip zum Tragen kommt. Ausschlaggebend ist hier der sogenannte «graphematische Lösungsraum», der definiert, welches Schriftzeichen eines Schriftsystems für welchen Laut stehen kann.

Nach diesen graphematischen Kriterien empfehle ich folgende Schreibweisen fürs Zürichdeutsche: Schlaf, Nähchörbli, heiligs Dunnerwätter, gange, dänkt, bout, denn auch im Standard kann ein <ä> für den Laut [ɛ:] stehen (Käse) und ein <d> und ein <b> für den stimmlosen Plosiv [t] oder [p] (Rad, rieb). Ebenso liegt das <ei> in heilig auch für viele Zürcher Dialekte noch im graphematischen Lösungsraum – weshalb also übergenau sein und das Schriftbild unnötig entfremden? Gerade aber bei gewissen Zentralschweizer Dialekten wird dieses ei oder auch der Zwielaut ie durch ein ausgeprägteres ä realisiert als beispielsweise in meinem Zürcher Oberländer Dialekt mit Winterthurer Einschlag. Daher sind hier die Schreibungen <äi> oder auch <iä> absolut legitim.

Es handelt sich bei meinen Anpassungen also streng genommen nicht um eine Korrektur, sondern um eine Systematisierung der Schreibweisen. Ich lege fest, welchen Laut man unter welchen Bedingungen wie verschriften soll. Meine Systematik kann grundsätzlich auf alle Dialekte angewendet werden, ohne dass die lautlichen Eigenheiten eines spezifischen Dialekts verloren gehen. Da sowieso kaum mehr jemand einen «reinen» Dialekt spricht, orientiere ich mich an der individuellen Aussprache der Person, die schreibt. Und auch wenn die Person an gewissen Schreibungen festhält, die ich nicht empfehlen würde, systematisiere ich die Schreibweisen unter Berücksichtigung der individuellen Wünsche, sodass die Verschriftungen stringent sind. Und so kommt es auch, dass ich die Schreibweisen unterschiedlicher Autor:innen trotz gleicher Aussprache mitunter auch unterschiedlich korrigiere – je nach den persönlichen Vorlieben der jeweiligen Person. Und genau jener Austausch und die Freiheit in diesem normfreien Raum macht meine Arbeit so spannend.

Daniela Zimmermann ist im Zürcher Oberland aufgewachsen mit einem Baselbieter Vater mit Berner Einschlägen und einer Zürcher Mutter mit gewissen Solothurner Färbungen. Heute lebt sie in Winterthur. Neben ihrer Arbeit als Deutschlehrerin an einem Zürcher Gymnasium widmet sie sich nebenberuflich seit 11 Jahren ihrer Leidenschaft, dem Mundartlektorat. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat sie bereits mit Schweizer Musik- und Literaturschaffenden, Kinderbuchverlagen und Werbeagenturen unterschiedlicher Dialektgebiete zusammengearbeitet (ZH, BE, LU, UR, SZ, OW, NW, ZG, BL, AI, TG) und wurde von diversen Medien als Fachperson für die Mundartverschriftung interviewt.

mundartlektorat.ch